File:Musteraufsätze 1913 von Theodor Paul - Seite 161.jpg

vorherige Seite - Seite 161 - nächste Seite

TEXT

stillen Kämmerlein, und unser Schäfer betet allein aus werter Flur, aber betet zu demselben Vater, mit demselben Geiste frommer Andacht und in dem Bewußtsein, daß alle Beter die Kinder des einen Vaters sind, der sie als seine Kinder je und je geliebt und zu sich gezogen hat aus lauter Güte. So ist die einsame Sonntagsfeier des Schäfers eine heilige Feier, eine Feier voll frommer Andacht und gottgesegneter Wirkung, welche er mit Fug und Recht mit den Worten schildern kann: „Anbetend knie' ich hier. O süßes Grau'n, geheimes Weh'nl Als knieten viele ungeseh'n Und beteten mit mir!" IV. Wir kommen nun zur Betrachtung der dritten und letzten Strophe, in welcher unser Schäfer gleichsam Abschied von der Erde nimmt und sein Herz upd Auge dem Himmel zuwendet. Bisher hat er nur dem Gefühle Ausdruck gegeben, daß ihm durch den Klang des Sonntagsgeläutes die ganze unsichtbare Menschheit gleichsam die Hand zum Bunde reiche, so daß er sich in seiner Einsamkeit nicht mehr alleinstehend, sondern mit anderen denkenden und andächtigen Genossen vereinigt fühlt. In der letzten Strophe geht aber der Dichter noch einen Schritt weiter, er schwingt sich gleichsam himmelauf und schildert das beseligende Gefühl der Gemeinschaft mit dem Allvater. Das Gefühl, in seiner Einsamkeit mit der gesamten Menschheit vereinigt zu sein, wird ihm ein süßes und heiliges Gefühl; süßer und heiliger als jenes aber ist ihm doch das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit seinem Gotte, der sich ihm in der Natur zeigt. „Ich bin dein, du bist mein." In diesem Gefühle göttlicher Gemeinschaft kommt ihm die Erde überaus schön und lieblich vor; er sieht gleichsam den Himmel offen, und es ist ihm, als ob aus dem klaren und freundlichen Himmel der ewige Gottesgeist, dessen Verehrungsformen im Laufe der Geschichte so vielerlei Gestalt angenommen haben, mit Vateraugen auf ihn herniederschaue und ihn zu sich hinaufziehe zu seinem himmlischen Frieden. „Der Himmel nah' und fern, Er ist so klar und feierlich, So ganz, als wollt' er öffnen sich." Dieses Bewußtsein der Gottesgemeinschaft ist für ihn daher auch ein so beseligendes, daß sein Schlußausruf: „Das ist der Tag des Herrn!" hier noch eine ganz andere und ungleich höhere Bedeutung gewinnt als am Anfänge des Liedes. Paul, Lufsähe.

	This work is in the public domain in its country of origin and other countries and areas where the copyright term is the author's life plus 100 years or fewer. You must also include a United States public domain tag to indicate why this work is in the public domain in the United States.
	This file has been identified as being free of known restrictions under copyright law, including all related and neighboring rights.

https://creativecommons.org/publicdomain/mark/1.0/PDMCreative Commons Public Domain Mark 1.0falsefalse

This work is in the public domain in the United States because it was published (or registered with the U.S. Copyright Office) before January 1, 1929. Public domain works must be out of copyright in both the United States and in the source country of the work in order to be hosted on the Commons. If the work is not a U.S. work, the file must have an additional copyright tag indicating the copyright status in the source country. Note: This tag should not be used for sound recordings.PD-1923Public domain in the United States//commons.wikimedia.org/wiki/File:Musteraufs%C3%A4tze_1913_von_Theodor_Paul_-_Seite_161.jpg