File:Musteraufsätze 1913 von Theodor Paul - Seite 147.jpg

vorherige Seite - Seite 147 - nächste Seite

TEXT

Aber mitten durch den Lärm tönt in sicherer Ruhe der Befehl: „Die Leitern an!" Fast in demselben Augenblick liegt flach an dem Hause eine Leiter. An ihrem oberen Ende ist sie mit langen, scharfen Haken versehen, die sich in das Holz des Fensterbrettes einkrallen. Flink steigt ein Feuerwehrmann an ihr empor und befestigt den Karabinerhaken seines Leibgürtels an eine der oberen Sprossen. Darauf zieht er eine zweite Leiter nach sich, die er in das Fenster des nächsten Stockwerkes einfügt. Nun eilt er an dieser empor und zieht die erste nach sich, und so geht's fort, bis er ganz oben angelangt ist. Um seinen Körper trägt er den Rettungssack und die Rettungsleine. Schnell ist der Widerhaken der Leine an einem Fensterkreuze befestigt. Frau und Kind werden in den Rettungssack gepackt, worauf dieser an der Leine, die unten von zwei Männern gehalten wird, herabgleitet. Hilfsbereite Hände befreiest die gerettete Frau nebst ihrem Kinde von der leinenen Umhüllung. Aber noch mehr Menschenleben sind bedroht, und die Gefahr hat Augenommen. Ein Funkenregen sprüht aus den Dachluken; in immer stärkeren Wogen dringt der Rauch aus den Fenstern. Da ertönt oben ein langgezogener Pfiff. Gleich darauf erschallt unten der Befehl: „Das Sprungtuch Heran!" Die letzte Silbe ist kaum verhallt, so ist auch schon das große, hirschlederne Sprungtuch ausgebreitet; von zwastzig und mehr Feuerwehrleuten wird es gehalten. Tiefe Stille ist plötzlich eingetreten; verstummt ist das Stimmengewirre der Menge. Aller Augen heften sich angstvoll an ein Fenster des oberen Stockwerkes. Dort erscheint eine Gestalt und neben ihr der Feuerwehrmann, der nach unten weist. „Achtung!" ertönt der Befehl des Offiziers. Fester fassen die nervigen Fäuste das Tuch. Die Gestalt eines Mannes prallt auf. Noch zweimal Wird der Gerettete emporgeschleudert, dann von eifrigen Händen gefaßt und auf den Erdboden gestellt. Hier taumelt er noch; doch die Samariter der Feuerwehr nehmen sich seiner an und lassen ihm Stärkung zuteil werden. Aber wo bleibt jener Brave, der die Menschenleben gerettet hat? Da, ein lautes Jubeln, ein donnerndes Hprra l Soeben schwingt er sich über die Fensterbrüstung. Den Haken des Rettungsgürtels hat er an der Leine befestigt; mit den Händen hält er diese umfaßt. Und während sich über ihm bereits glühende Dachziegel lösen, erreicht er den Erdboden. In dienstlicher Haltung tritt er auf den Offizier zu und meldet: „Kein Menschenleben mehr in Gefahr." Sein Gesicht ist geschwärzt, sein Bart versengt; die inneren Handflächen bluten. io*

	This work is in the public domain in its country of origin and other countries and areas where the copyright term is the author's life plus 100 years or fewer. You must also include a United States public domain tag to indicate why this work is in the public domain in the United States.
	This file has been identified as being free of known restrictions under copyright law, including all related and neighboring rights.

https://creativecommons.org/publicdomain/mark/1.0/PDMCreative Commons Public Domain Mark 1.0falsefalse

This work is in the public domain in the United States because it was published (or registered with the U.S. Copyright Office) before January 1, 1929. Public domain works must be out of copyright in both the United States and in the source country of the work in order to be hosted on the Commons. If the work is not a U.S. work, the file must have an additional copyright tag indicating the copyright status in the source country. Note: This tag should not be used for sound recordings.PD-1923Public domain in the United States//commons.wikimedia.org/wiki/File:Musteraufs%C3%A4tze_1913_von_Theodor_Paul_-_Seite_147.jpg